BARRIEREN FÜR AUTISTEN

Wie auch Menschen mit sichtbaren Behinderungen stoßen auch Autisten auf Barrieren. Aber dadurch, dass der Autismus nicht sichtbar ist, werden auch etwaige Hindernisse übersehen oder nur am Rande beleuchtet. Ein weiteres Problem ist, dass bei Barrierefreiheit nicht weit gedacht wird. Die meisten Menschen denken dabei nur an eine Rollstuhlrampe und einen Fahrstuhl. Aber das ist definitiv zu wenig.

So ist zum Beispiel ein Arztbesuch eine Herausforderung. Inzwischen können Termine auch oft online vereinbart werden, jedoch nicht überall. Für autistische Personen ist das sehr hilfreich wenn sie für einen Termin nicht telefonieren müssen. Ein Gespräch ist sowieso schon schwierig zu koordinieren aber wenn die andere Person dabei nicht vor einem steht, ist es nicht gerade einfacher und Missverständnisse entstehen noch schneller. Auch der Besuch in der Praxis selbst hat Hürden. Nervosität vor einem Arzttermin bei einem womöglich unbekannten Arzt hat man oft schon als neurotypischer Mensch. Wenn man jetzt die autistische Gegebenheiten bedenkt, kann so ein Termin auch beängstigend werden.

So wäre es hilfreich, übliche Untersuchungen vorher zu besprechen und Begleitpersonen zuzulassen.

Aber auch Behördentermine sind nicht einfach zu bewältigen. Formulare sind kompliziert aufgebaut und die Angestellten nehmen sich nicht ausreichend Zeit. Mit einer Behinderung die kaum jemand ausreichend kennt, stößt man also auf Hindernisse. Die wenigsten Ämter wissen, was autistische Menschen brauchen, was zum Beispiel besonders bei der Agentur für Arbeit wichtig wäre. Was hier hilfreich sein kann ist, im Vorfeld zu sagen dass man autistisch ist oder eine Begleitperson zur Unterstützung mitzunehmen.

Regeltermine wie zum Beispiel einkaufen sind auch nicht zu unterschätzen. Manche Supermärkte haben bereits Hilfen wie die "stille Stunde", in der keine Regale eingeräumt werden, keine Musik läuft und Durchsagen vermieden werden. Dadurch ist der Einkauf reizärmer und für Autisten einfacher. Durch die Regelmäßigkeit ist dies nicht unbedingt leichter. Einkaufen ist gut planbar, aber auch nur bis zu einem gewissen Grad. Es können Lebensmittel leer sein, die fest eingeplant sind oder der Laden wurde umgeräumt.

Mir hilft es, Kopfhörer zu tragen und Musik zu hören um die akustischen Reize ausblenden zu können und nur das zu hören was ich kontrollieren kann und auch hören will. Und immer in den gleichen Geschäften einzukaufen hilft beim Zurechtfinden und schnellen Einkaufen auch. Vorm Umräumen kann man sich jedoch leider nicht schützen aber Skills können helfen, siehe dazu in der Rubrik Skills und Stimming nach. Auch Bekleidungsgeschäfte sind nicht einfach zu besuchen. Meist ist das Licht zu grell und die Läden zu vollgestopft. Zu den visuellen Reizen kommen die haptischen hinzu, denn eine Jeans als Autist zu finden, ist manchmal eine halbe Lebensaufgabe. Etiketten kratzen, Samt fühlt sich gruselig an und Fransen kitzeln zu sehr.

OVERLOAD

Ein Overload ist eine Überlastung von externen Reizen wie zb. sehen, hören, riechen, fühlen oder sozialer Interaktion. Das sind manchmal auch ganz banale Dinge, die für eine neurotypische Person schwer nachzuvollziehen sind wie Geräusche, Etiketten in der Kleidung die schon den ganzen Tag stören oder einfach zu hell empfundenes Licht.

VERHALTENSWEISEN BEI EINEM OVERLOAD

- starkes blinzeln

- Ohren zuhalten

- steigende Unruhe

- Umschwung in der Stimmung

- verstummen im Gespräch

- immer stärkeres wippen mit dem Fuß oder nervöse Handbewegungen

SO HILFST DU EINEM AUTISTEN IM OVERLOAD

- bring mich aus der Situation weg

- sprich in kurzen Sätzen und stelle wenn möglich ja/nein Fragen

- fass mich nicht unangekündigt an

- erinnere mich an meine Hilfsmittel/gib sie mir ggf. in die Hand

- spiele die Situation nicht herunter, das macht es nur schlimmer

SHUTDOWN

Shutdown, also herunterfahren, ist ein Zustand, in dem mein Körper im Not-Aus-Modus ist. Vorher ist entweder ein längerer Overload passiert oder ich musste mein Verhalten zu lange maskieren (an die neurotypische Gesellschaft anpassen). Diese verbrauchte Energie zwingt meinen Körper dann zu einer Pause.

VERHALTENSWEISEN BEI EINEM SHUTDOWN

- extreme Müdigkeit, Bedürfnis zu schlafen

- gedanklich abwesend

- spreche wenig bis gar nicht mehr

- leerer Blick, reagiere evtl weniger auf Ansprache

- langsame Bewegungen

SO HILFST DU EINEM AUTISTEN IM SHUTDOWN

- hilf mir aus der Situation raus

- biete mir wenn möglich eine (Gewichts)decke an

- spreche möglichst wenig, nur ja/nein Fragen

- fass mich nicht unangekündigt an

- lass mich schlafen wenn nötig und möglich

Ein Shutdown kann mehrere Stunden, im Extremfall auch Tage dauern.

MELTDOWN

Ein Meltdown beschreibt einen Kurzschluss durch kolossale Überforderung. Logik kann mich nicht mehr beruhigen und das Ganze ist explosionsartig. Für Außenstehende ist meist kein Auslöser zu finden, da sich der Meltdown über längere Zeit aufbaut, evtl mit vorangegangenem Overload und/oder Shutdown. Ein Meldown sieht aus wie ein WUTANFALL, ist aber pure VERZWEIFLUNG.

SO HILFST DU EINEM AUTISTEN IM MELTDOWN

- hilf mir aus der Situation raus

- lass mich in Ruhe

- nur wenn nötig sprechen und nur ja/nein Fragen

- fass mich nicht an

- spiele nichts herunter

- selbstverletzendes Verhalten stoppen und Alternativen anbieten

- anderes Stimming NICHT stoppen

Ein Meltdown ist nicht kontrollierbar, es ist keine bewusste Entscheidung wie ein Wutanfall sonst manchmal sein kann. Erst nach dem Meltdown bin ich wieder für Logik und Lösungsvorschläge zugänglich.

DIE LÖFFELTHEORIE

Dieses Prinzip war ursprünglich 2003 von einer Amerikanerin überlegt, um das Energielevel mit einer Autoimmunerkrankung zu verbildlichen. Es lässt sich aber perfekt auf Autisten übertragen, auch auf andere Behinderungen.

Ein neurotypischer Mensch startet mit dem Energielevel von unendlichen Löffeln in den Tag, er muss sich nicht entscheiden, wofür die Energie noch reicht und wofür nicht. Eine autistische Person dagegen hat vielleicht nur 12 Löffel pro Tag zur Verfügung und muss besser planen um das Energielevel über Null zu halten.

Jede Aktivität verbraucht unterschiedlich viele Löffel und es ist vielleicht hilfreich, sich zu überlegen was wie viele Löffel verbraucht. Ein Beispiel von mir:

1 Löffel

-> Für den Tag bereit machen

-> Fernsehen

-> Nachrichten beantworten

2 Löffel

-> öffentliche Verkehrsmittel

-> einen Anruf machen

->einkaufen

3 Löffel

-> soziale Interaktion

-> Essen

-> spontane Planänderungen

4 Löffel

-> Arztbesuch

-> ein Konzert spielen

-> Großveranstaltungen

Natürlich kann man sich auch mal einen Löffel vom nächsten Tag leihen aber dann startet man mit weniger Energie, was auch nur manchmal möglich ist. Für ein Ereignis, welches viele Löffel verbraucht, kann man auch mal am Tag vorher ein oder zwei Löffel sparen aber das ist alles mit viel Planung verbunden, mehr als bei neurotypischen Menschen. Die verfügbare Energie eines autistischen Menschen ist durch die andere Reizverarbeitung und die Komplexität des autistischen Denkens geringer als sie in dieser Welt vorgesehen ist. Unsere Welt ist für neurotypische Menschen ausgelegt, was die Anpassung in der Bewältigung einfachster Dinge mit so einem niedrigen bzw schwierigen Energiekontingent herausfordernd macht.